Zinswende – Comeback der Anleihen?

Nach anfänglichem Zögern hat nun auch die EZB die Zinswende eingeläutet, um die anhaltend hohe Inflation einzudämmen. Bei steigenden Zinsen rücken Anleihen zunehmend in den Fokus der Anleger. Wie geht es weiter an den Anleihemärkten? Wir haben Stefan Amenda, Leiter Aktien & Multi Asset, um eine Einschätzung gebeten.

Herr Amenda, wie würden Sie das bisherige Jahr an den Finanzmärkten einordnen?

Anfang des Jahres haben wir einen Übergang von der ursprünglichen Annahme einer vorübergehenden Inflation zu einem länger anhaltenden Phänomen gesehen. Damit verbunden war klar: Die Zentralbanken müssen reagieren. Die Frage war nur, wie schnell und wie drastisch. Bekanntermaßen sind sie schließlich eingeschritten, die US-Notenbank Fed deutlich schneller und konsequenter, die Europäische Zentralbank EZB zaghafter und zögerlicher. Der russische Einmarsch in der Ukraine hat die Inflation weiter verstärkt. Zu den weltweiten Störungen in den Lieferketten kamen Versorgungsengpässe bei Nahrungsmitteln sowie Energie.

Mit welchen Konsequenzen für die Anleihemärkte?

Die Anleihemärkte nahmen höhere Inflationserwartungen vorweg, die Zinsen gingen steil nach oben. Wir haben deswegen zweistellige Kursrückgänge bei Anleihen gesehen, die als sicher eingestuft waren. Eine herausfordernde Zeit. Der gesamte Markt, über alle Assetklassen hinweg, befand sich auf dem Rückzug. Somit gab es keine sichere Häfen.

Und wo stehen wir Ihrer Ansicht nach heute?

Auch wenn die jüngsten Inflationsraten weiterhin sehr hoch sind, kommen sie doch nicht mehr überraschend. Der Markt hat sich ein Stück weit an die höhere Preissteigerung gewöhnt. Die Gefahr einer bösen Überraschung schwächt sich damit ab. Gleichzeitig machen sich Rezessionserwartungen breit.

Mit welchen Folgen für die Anleihenmärkte?

In dem Maße, in dem eine Rezession stärker erwartet wird, schwächt sich auch die Erwartung in eine weitere Verschärfung der Geldpolitik ab. Das Ziel der Zentralbanken ist zwar die relative Geldwertstabilität und die Eindämmung einer zu hohen Inflationsrate – und wir liegen augenblicklich deutlich darüber. Mit einem Auge schaut sie aber auch auf die Wirtschaftsentwicklung.

Die Zinsen sind deutlich positiv, somit erhöhen sich die Chancen, an den Anleihemärkten wieder Geld zu verdienen.

Stefan Amenda, Leiter Equity & Multi Asset

Also eher keine weiteren geldpolitischen Zügel, damit die Konjunktur sich erholen kann?

Rückt die Gefahr einer Rezession näher, gehen die Erwartungen an eine restriktivere Geldpolitik in der Regel zurück. Denn geldpolitische Maßnahmen würden sich negativ auf die private Investitionsbereitschaft und das Wirtschaftswachstum auswirken. Alles in allem ist es eine Gratwanderung – auf der einen Seite die übermäßige Inflation, auf der anderen Seite die Rezession.

Lohnt sich der Einstieg in die Kapitalmärkte wieder?

Die Zinsen sind deutlich positiv, somit erhöhen sich die Chancen, an den Anleihemärkten wieder Geld zu verdienen. Wir haben jedoch immer noch ein sehr volatiles Umfeld. Das sehen wir auch daran, wie die Kapitalmärkte mit Tagesmeldungen zu Stimmungsindikatoren oder Inflationszahlen umgehen. Innerhalb eines Tages geht es stark auf und ab. Für Zinsen lohnt es sich zu investieren. Das heißt aber nicht, dass die Zinsen nicht noch weiter steigen können und werden.

Wo sehen Sie aktuell Chancen?

Chancen sehen wir im Bereich kurzlaufender Anleihen nicht bester Bonität. Aufgrund der kurzen Laufzeit wirken sich etwa Zinsänderungserwartungen nicht so stark auf den Kurs aus. Außerdem ist Pfandbriefen und Covered Bonds gegenüber Staatsanleihen der Vorzug zu geben. Pfandbriefe sind mit Hypotheken besicherte Anleihen, während der Sammelbegriff „Covered Bonds“ ähnlich strukturierte Papiere meist ausländischer Anbieter umfasst.

Für wen sind Anleihen, Misch- und Aktienfonds Ihrer Ansicht nach derzeit geeignet?

Fondsanleger mit einem langen Anlagehorizont können auch in Zeiten weiterhin bewegter Märkte schon mit ersten Schritten wieder investieren. Wer in Sparplänen investiert ist, sollte Kurs halten. Diese Anleger haben ohnehin einen langen Horizont und zu ihrer Anlagestrategie zählt, bei günstigen Kursen mehr Anteile zu kaufen. Auch dies dürfte sich auf die lange Sicht auszahlen.