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ViEW

Unser Newsletter für institutionelle Investoren

„Oans, zwoa, g‘suffa – nicht nur aufgrund des Oktoberfestes ist Deutschland der größte Biermarkt in Europa.“

In dieser Ausgabe widmen wir uns der veränderten Rolle Chinas im globalen Handel – ein Thema, das insbesondere für Europa zunehmend an Bedeutung gewinnt. Darüber hinaus beleuchten wir Bewertungsfaktoren für Wachstumsunternehmen und werfen einen Blick auf die aktuellen Wahlen.

Der halbjährliche Bericht der Munich Re zur Entwicklung von Naturkatastrophen ist für Investoren inzwischen zur Pflichtlektüre geworden. In diesem Zusammenhang hatte ich die Gelegenheit, ein äußerst interessantes und vor allem auch sehr relevantes Gespräch über die Veränderungen bei Schadenereignissen zu führen.

Ich wünsche Ihnen wieder spannende „ViEWs“!
Ihr Frank Becker

Europa im Bierpreis-Check

Pünktlich zum Oktoberfest lohnt sich ein Blick auf die Bierpreise in Europa. Besonders auffällig sind die großen Unterschiede zwischen Gastronomie und Einzelhandel: In Reykjavik zahlt man in Restaurants am meisten, während Prag die günstigsten Preise bietet.

In Deutschland sind die Kosten zwar moderater, doch auch hier bleibt die Differenz deutlich spürbar. Für eine Maß Bier auf dem diesjährigen Oktoberfest, der Wiesn, müssen Besucher übrigens rund 15 Euro einplanen. Trotz sinkenden Bierkonsums bleibt Deutschland vor Großbritannien, Spanien und Polen der größte Biermarkt Europas.

 

Bierpreise in europäischen Großstädten 
Durchschnittliche Kosten von 0,5 Liter Bier


Quelle: Statista; Stand: August 2024

Chinas Rolle in der Weltwirtschaft im Wandel

Spätestens mit dem WTO-Beitritt 2001 wurde China zum globalen Wachstumsmotor und Eldorado für westliche Unternehmen auf der Suche nach attraktiven Geschäftsfeldern. Neben einer boomenden heimischen Nachfrage verlief die Außenhandelsseite vereinfacht wie folgt: Für die Bautätigkeit und Infrastrukturinvestitionen importierte China massiv Rohstoffe mit positiven Impulsen für andere Schwellenländer. Für den Aufbau der Industrie wurden, vor allem aus Europa und hier insbesondere Deutschland, Maschinen importiert, darüber hinaus sehnten sich die aufstrebenden Konsumenten Chinas nach westlichen Luxusgütern. Dafür exportierte China Konsumgüter zu konkurrenzlos niedrigen Preisen in den Rest der Welt.

Wann immer irgendwo auf der Welt eine wirtschaftliche Krise auftrat – seien es Finanz- und Eurokrise oder ein Abschwung am chinesischen Bausektor 2014/2015 – stimulierte Peking die Wirtschaft mit günstigen Krediten sowie Fiskalausgaben und zog damit auch den Rest der Welt nach oben.

Seit der Pandemie funktioniert dieses Erfolgsrezept aber nicht mehr. Was ist passiert? Mit der spektakulären Pleite des Immobilienentwicklers Evergrande in 2021 begann ein Niedergang der Bauwirtschaft. Diese Unsicherheit lastet auf den Konsumenten, die trotz Corona-Öffnung zurückhaltender geworden sind und die Regierung stimuliert nur gerade so viel, wie nötig scheint, um die Wachstumsziele zu erreichen. Die Euphorie ist auch wegen der geopolitischen Spannungen mit den USA verflogen.

Der langfristige Plan der chinesischen Regierung zur Lösung dieser Probleme ist der Ausgleich der negativen Impulse des Bausektors durch privaten Konsum sowie angebotsseitig eine Steigerung der Produktivität durch massive staatliche Förderung von Technologiesektoren. Das Wachstum wird zwar durch demografische Faktoren etwas verlangsamt, dennoch wird die Bedeutung Chinas für die Weltwirtschaft graduell zunehmen, da es immer noch schneller wächst als der Durchschnitt aller anderen Volkswirtschaften.

Für westliche Unternehmen ist die Lage deutlich schwieriger geworden.

Holger Brüll, Senior Analyst Research

Für westliche Unternehmen ist die Lage aber deutlich schwieriger geworden. Neben geringerem Wachstum zeichnen sich strukturelle Verschiebungen zu ihren Lasten ab. Am deutlichsten spüren dies die deutschen Automobilhersteller. Inzwischen ist jedes zweite in China verkaufte Auto ein Elektroauto. Ausländischen Autobauern fällt es technologisch und preislich extrem schwer, mit ihren Konkurrenten im hart umkämpften chinesischen Markt mitzuhalten, während die chinesischen Hersteller auf den Weltmarkt drängen. Gleichzeitig hat China massiv in den Aufbau von Produktionskapazitäten für Erneuerbare Energien investiert. Neben der heimischen Nachfrage – China wird laut IEA bis 2028 mehr neue „grüne“ Stromproduktion bereitstellen als der Rest der Welt zusammen – soll auch der globale Markt bedient werden.

Dieses billige Angebot an „grüner“ Technologie und Elektroautos bietet zwar einerseits eine Chance für die Welt, den Klimawandel effizient zu bekämpfen, es beschwört aber natürlich auch Reflexe für den Schutz heimischer Industrien herauf, wie sich zum Beispiel an Hand der jüngst verhängten europäischen Zölle gegen importierte Elektroautos zeigt.

In Bezug auf westliche Konsumgüter zeigt sich ebenfalls Zurückhaltung: Konsumenten in China sind vorsichtiger und preisbewusster geworden, so dass es Luxusgüter schwerer haben. Zudem haben die Korruptionsbekämpfung und Appelle an den Nationalstolz die Attraktivität westlicher Produkte geschmälert.

Damit bleibt neben Rohstoffen im Wesentlichen noch eine Importkategorie, an der China ein großes Interesse hat: Technologiegüter, die es (noch) nicht selbst herstellen kann, insbesondere leistungsfähige Computerchips. Vor allem die USA und ihre Verbündeten bremsen hier, da sie den technologischen Vorsprung auf China halten wollen, während China seinerseits eine Reduzierung der Abhängigkeit von ausländischer Technologie als Frage der nationalen Sicherheit einstuft. Insofern wird hier massiv mit dem Ziel investiert, westliche Anbieter zu ersetzen.

In der Gesamtschau muss festgestellt werden, dass die zyklische Verlangsamung in China für ausländische Unternehmen durch strukturelle Verschiebungen vor Ort massiv akzentuiert wird, vor allem für die Europäer. Im Gegenzug versuchen viele Länder, der „Flut“ an chinesischen Gütern durch Protektionismus Herr zu werden. Gegeben der Wettbewerbsfähigkeit chinesischer Anbieter und des breit diversifizierten Angebots dürften sektorspezifische Maßnahmen bremsend wirken, aber auf nationaler Ebene nicht massiv belasten.

Sollte aber Trump im November erneut als US-Präsident gewählt werden, dürften weitere breit basierte Zölle gegen China folgen, auch wenn eine Umsetzung des versprochenen 60 %-Satzes auf alle Importe aus China nicht vollständig erfolgen sollte. Negative Auswirkungen auf das chinesische Wachstum wären aber unvermeidbar.

Unter dem Strich dürfte China seine zentrale Rolle im globalen Handelssystem behalten. Es ist und bleibt die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und eine vollständige Verlagerung der Lieferketten aus China heraus ist kurz- bis mittelfristig nahezu unmöglich. Vor Ort bestehen gerade bei Elektronikprodukten zu viele Cluster mit Zulieferbetrieben und qualifiziertem Personal, die sich nicht schnell in andere Länder verlagern lassen. Diversifikation kann und wird graduell stattfinden, aber ein kompletter Abschied aus dem Reich der Mitte macht angesichts des riesigen Marktes ökonomisch wenig Sinn.

Nasdaq-Performance und der TI-NA-Mythos

Als im Jahr 2022 Zentralbanken begannen global Zinsen zu erhöhen, wurde das Ende der TINA-Ära ausgerufen. Das Akronym TINA steht für „There Is No Alternative“ und bedeutet, dass es im Niedrigzinsumfeld keine Alternative zu risikoreichen Anlageklassen, wie zum Beispiel Aktien, gibt. Im Aktienumfeld wurden hoch bewertete Wachstumsunternehmen besonders abgestraft und der Nasdaq 100 verlor über das Jahr 2022 hinweg 33 Prozent. Die Erklärung dafür: Die erwarteten Cashflows von Wachstumsunternehmen liegen ferner in der Zukunft und die Aktien haben folglich gemäß der Anleihen-Nomenklatur eine höhere Duration, sind also besonders zinssensitiv.

Die phänomenale Rendite des Nasdaq 100 in der letzten Dekade wurde daher schnell dem Niedrigzinsumfeld zugeschrieben. Der zeitliche Zusammenhang ist tatsächlich bemerkenswert, denn in den 2010er Jahren begann der Nasdaq 100 sich deutlich von globalen Indizes zu entkoppeln. Korrelation bedeutet aber nicht gleich Kausalität, denn zur gleichen Zeit fanden transformative technologische Veränderungen statt, die zu nie da gewesenen Gewinnsteigerungen der am Nasdaq notierten Firmen geführt haben: Der Plattformwechsel in die Cloud, die Massenverbreitung des Smartphones und das damit verbundene explosive Wachstum von E-Commerce.

Was hat nun die Nasdaq-Outperformance getrieben? Wenn es die Niedrigzinspolitik war, sollte die Performance vor allem auf eine Aufwertung der Bewertungsmultiplikatoren zurückzuführen sein. Tatsächlich hat sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis seit 2010 nahezu verdoppelt. Die Gewinnerwartungen für den Index haben sich jedoch in der gleichen Zeit fast versechsfacht. Der Großteil ist also auf die enorme Gewinnsteigerung zurückzuführen, getrieben von den Tech-Schwergewichten, die durch die oben genannten Plattformwechsel ihre heutige Größe erreicht haben.

Die Kursentwicklung im letzten Jahr verstärkt die Hypothese weiter, denn der Nasdaq 100 verbuchte Kursgewinne von über 50 Prozent, in einem Jahr in dem die Gewinnerwartungen sowie die Zinsen auf zehnjährige US-Staatsanleihen gestiegen sind.

Was können wir von dieser Beobachtung für die Zukunft mitnehmen? Wir stehen heute am Beginn der KI-Ära. Als Allzwecktechnologie wird künstliche Intelligenz unseren privaten und beruflichen Alltag fundamental verändern und die Möglichkeiten der Informationstechnologie deutlich erweitern. Auch wenn die Monetarisierung, abgesehen von den Hardware Herstellern wie Nvidia oder Broadcom, momentan noch aussteht, sind viele der Nasdaq 100-Unternehmen für die nächste Innovationswelle gut aufgestellt. Dass viele der Unternehmen zumindest langfristig mit technologischen Innovationen viel Geld verdienen können, haben sie in den letzten 15 Jahren eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Fabian Bachl
Portfolio Manager Globale Aktien

Ein Espresso mit …

Volker Plate, Director Institutional Sales – Wholesale, im Gespräch mit Dr. Jürgen Callies, Head of Research

VP: Deutschland und Frankreich waren früher der Motor der europäischen Einigung – aber der Motor stotterte zuletzt und die jüngsten Wahlen sprechen nicht für eine baldige Reparatur.
JC: Richtig, die letzten Wahlen in beiden Ländern haben gezeigt, dass die aktuellen Regierungen nur eine begrenzte Restlaufzeit haben, die internen politischen Herausforderungen so hoch und die Mehrheiten so eng sind, dass für europäische Initiativen wenig Platz bleiben wird.

VP: Frankreich sucht nach den Parlamentswahlen noch immer eine stabile Regierung.
JC: Nach der Niederlage seiner Partei bei den Europawahlen hatte Macron überraschend Parlamentswahlen einberufen, die seine Partei de facto verloren hat. Sie wurde immerhin noch zweitstärkste Kraft nach Sitzen, was sie aber dem Wahlsystem und dem Linksbündnis zu verdanken hatte.

VP: Aber jetzt stellt die Linke trotzdem nicht den Ministerpräsidenten?
JC: Das wäre in der fünften Republik so üblich gewesen, aber Macron will das nicht. Er hat den Republikaner Barnier nominiert mit dem Ziel, das Linksbündnis zu spalten und  eine Regierung der Mitte zu erzwingen.

VP: Die Stellung des französischen Präsidenten ist stark.
JC: Sie ist enorm. Aber Macron hat nur noch drei Jahre, dann wird es einen neuen Präsidenten geben. Er kann nicht mehr antreten und die „neuen“ Hoffnungsträger seiner Partei haben zwei Wahlen verloren.

VP: Und Deutschland?
JC: Die regierende Ampelkoalition hat gerade bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen eine krachende Niederlage erlebt, die drei sie tragenden Parteien kommen beispielsweise in Thüringen nur auf etwa ein Zehntel der Stimmen. Die Bundestagswahlen in Deutschland stehen im September nächsten Jahres an. Wenn sich die Stimmung nicht massiv dreht, sprechen die Meinungsumfragen für eine neue Regierung und einen neuen Kanzler.

VP: Hat das dann für die Märkte eine ähnliche Bedeutung wie die Präsidentschaftswahlen in den USA?
JC: Nein, Europa ist nicht mehr so wichtig – leider. In den beiden führenden Ländern der EU weisen momentan keine Parteien Mehrheiten für umfassende Reformen auf – und haben auch keine die Märkte begeisternden Konzepte. Darüber hinaus dürften sie im nächsten Jahr innenpolitisch absorbiert sein.

VP: Dann bleibt die unbestrittene Nummer 1 bei Wirtschaft, Kapitalmärkten und den politischen Weichenstellungen die USA?
JC: Ja, der 5. November könnte historisch werden.

 

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Wachsende Bedrohung durch mittelgroße Naturschadenereignisse

Über die aktuellen Erkenntnisse der Munich Re zu Naturkatastrophen sowie deren Ursachen und Folgen spricht Frank Becker, Geschäftsführer der MEAG für Institutionelle Kunden, mit Tobias Grimm, Head of Climate Advisory and Natural Catastrophe Data bei Munich Re.
 

FB: Fast täglich lesen wir von Wetterextremen. Nicht nur vor dem Hintergrund des Klimawandels verändert sich die Schadensituation bei Naturereignissen. Ist dieses Jahr besonders schadenträchtig? Und auf was müssen wir uns in Zukunft einstellen?

TG: Ende Juli haben wir unseren turnusmäßigen Rückblick auf Naturkatastrophen für die ersten sechs Monate 2024 publiziert. Erfahrungsgemäß ist im langjährigen Schnitt das erste Halbjahr weniger schadenträchtig als das zweite. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Hauptsaison für einen der großen Schadentreiber, die Hurrikane in den USA, von August bis Oktober verläuft. Wir sahen zu Beginn der Hurrikansaison viele Indizien, die für eine sehr aktive Saison sprachen, glücklicherweise verlief sie bis dato relativ schadenarm.

Frank Becker

Frank Becker

Geschäftsführer Insitutional Clients

Der letzte Munich Re Nat-Cat-Report hat gerade die Zunahme mittelgroßer Ereignisse herausgearbeitet.

FB: In welchen Größenordnungen bewegen sich die diesjährigen Schäden aus Naturkatastrophen?

TG: Im ersten Halbjahr hatten wir insgesamt weltweit USD 120 Milliarden an Gesamtschäden aus Naturkatastrophen zu verzeichnen. Davon waren USD 62 Milliarden versichert. Das ist ein vergleichsweise hoher Anteil. Die Durchdringung ist davon abhängig, in welcher Region die größten Schäden entstehen, und ob es sich um gut entwickelte Versicherungsmärkte handelt. Sie erinnern sich bestimmt noch an das schreckliche Erdbeben in der Türkei und Syrien 2023. Es war das größte Einzelschadenereignis in dem Jahr. Dort entstanden insgesamt Schäden über USD 50 Milliarden, aber nur etwa elf Prozent waren versichert. Das größte Ereignis im ersten Halbjahr dieses Jahres war ein Erdbeben in Japan mit Schäden von etwa USD 10 Milliarden, von denen nach derzeitigem Kenntnisstand rund USD 2 Milliarden versichert waren.

Die meisten Schäden im ersten Halbjahr verursachten Unwetterfronten in den USA, die durch den Mittleren Westen zogen und von Tornados und schweren Hagelschauern begleitet wurden. Von den erwähnten USD 62 Milliarden an versicherten Schäden weltweit entfielen mit USD 34 Milliarden also mehr als die Hälfte auf diese Unwetter. Der Mittlere Westen der USA ist durch heftige Luftmassen-Gegensätze gekennzeichnet. Allein im ersten Halbjahr gab es dort 1.250 Tornados, das war eine deutlich überdurchschnittlich aktive Saison.

Tobias Grimm

Tobias Grimm

Head of Climate Advisory and Natural Catastrophe Data
Munich Re

Im ersten Halbjahr waren weltweit USD 120 Mrd. an Schäden aus Naturkatastrophen zu verzeichnen.

FB: Gab es auch Überraschungen?

TG: Ein zweiter Schwerpunkt der Schäden im ersten Halbjahr waren Überschwemmungen. Diese sind per se nicht überraschend und Teil unserer Modelle. Ein prominentes Beispiel hierfür waren die schweren Überschwemmungen in Süddeutschland Anfang Juni, die viertteuerste Katastrophe dieser Art in Deutschland. Es gab aber auch Ereignisse mit Milliardenschäden in Regionen, die für so intensive Ereignisse eher etwas ungewöhnlich sind, wie zum Beispiel die Überschwemmungen im Süden Brasiliens oder auch im Nahen Osten in der Region von Dubai und darüber hinaus. In dieser eigentlich trockenen Region versickern große Regenmengen kaum. Eine darauf ausgelegte Infrastruktur ist selten vorhanden, es fehlen häufig entsprechende Kanalisationen, so dass die Städte auf diese Wetterereignisse häufig noch unzureichend vorbereitet sind. Hinzu kommt, dass die Versicherungsdurchdringung dort extrem niedrig ist, weil private Hausbesitzer ihre Immobilien oft nicht gegen Naturkatastrophen versichert haben.

FB: Worauf richtet sich Ihr Blick hinsichtlich der Struktur der Schäden?

TG: Historisch standen primär Erdbeben und Hurrikane im Vordergrund, da es sich hierbei um die teuersten Ereignistypen handelt. Die Hotspots sind weitgehend bekannt. Sowohl Erdbeben als auch Hurrikane sind allerdings sehr volatil und unterscheiden sich in der Ausprägung von Jahr zu Jahr. Der Mensch ist aber auch ein treibender Faktor für die Schadenhöhe: Wir siedeln immer mehr in Regionen, die verwundbar sind. Jüngstes Beispiel war Hurrikan Otis, der vor der Küste von Mexiko als normaler tropischer Sturm begann und sich, was äußerst selten vorkommt, innerhalb von 24 Stunden in einen Hurrikan der stärksten Kategorie verwandelte. Er hat weite Teile von Acapulco getroffen und Schäden in Höhe von USD 12 Milliarden hinterlassen, von denen etwa 4 Milliarden versichert waren.

FB: Ist die Entstehung solcher schnell auftretender und starker Stürme auch mit dem Klimawandel verbunden?

TG: Ja, man hat herausgefunden, dass die schnelle Intensivierung auch vom Klimawandel angetrieben wurde. Die sehr warmen Meere wirken wie Treibstoff für den Sturm, speziell wenn er mit dem richtigen Cocktail in der Atmosphäre zusammentrifft.

FB: Inwieweit lassen sich denn überhaupt einzelne Wetterextreme wissenschaftlich gesichert dem Klimawandel zuordnen? Wie weit gibt es hier Konsens?

TG: Eine Vielzahl von Attributionsstudien belegt, dass bestimmte Ereignisse durch den Klimawandel wahrscheinlicher geworden sind. Das World Weather Attribution Network, ein weltweiter Zusammenschluss von Klimaforschern, wertet entsprechende Ereignisse aus und veröffentlicht sie.

FB: In Ihrem letzten Munich Re NatCat-Report zum ersten Halbjahr 2024 haben Sie herausgestellt, dass Ihnen die Zunahme der mittelgroßen Ereignistypen besondere Sorgen bereitet. Warum?

TG: Während für Großschäden seit den 90er Jahren sehr zuverlässige Modelle existieren, mit denen die Versicherungswirtschaft ihre Risiken berechnen kann, wurden bei den sogenannten Sekundärschäden, oder Non-Peak Perils, erst in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht. Dies ist einer der Bereiche, in die wir am meisten investieren. Die Schadenhöhen in diesem Segment sind mittlerweile besorgniserregend, und wir sehen hier sprunghafte Veränderungen. Ein Beispiel sind die Waldbrände in Kalifornien. Dort hatten die Schäden früher eine Größenordnung von einem oder zwei Milliarden US-Dollar pro Jahr. Das hat sich mittlerweile maßgeblich verändert. Allein das Camp Fire, ein großer Waldbrand in Kalifornien im Jahr 2018, verursachte Schäden in Höhe von über USD 10 Milliarden.

FB: Die Schäden aus Wetterextremen und Naturkatastrophen steigen also insgesamt?

TG: Ja, aber das hat neben dem Klimawandel einige weitere Gründe: Die Verhaltensweisen der Menschen ändern sich über die Zeit. Die Städte breiten sich immer weiter aus und exponieren sich zum Beispiel gegenüber der Waldbrandgefahr. Siedlungen und andere Werte entstehen an Orten, an denen das in der Vergangenheit nicht der Fall war, wo aber die Gefährdung, etwa gegen Stürme und Überschwemmungen hoch ist. Und die globale Vernetzung der Prozessketten führt an Stellen zu Schäden, wo sich Naturkatastrophen gar nicht unmittelbar ereignen. Auch sind die Reparaturen nach Schadenereignissen häufig teurer geworden. Schließlich schreitet der Klimawandel voran: Das führt dazu, dass die Häufigkeit und vor allem die Intensität vieler Wetterextreme zunehmen.

FB: Der Klimawandel und die veränderte Besiedlung werden sich also in einer Erhöhung der Versicherungsprämien niederschlagen, um den Risiken zu entsprechen. In Deutschland kennen wir das aus der aktuellen Debatte um Pflichtversicherungen. Was charakterisiert das Versicherungsverhalten hierzulande?

TG: Gerade Elementarschadenversicherungen werden von Versicherungsnehmern primär dort abgeschlossen, wo Gefahren sichtbar sind oder in der Vergangenheit bereits auftraten. Die Durchdringungsquote der Elementargefahrenversicherung beträgt in Deutschland durchschnittlich derzeit 54 Prozent, wobei es starke regionale Unterschiede gibt. Vielen Menschen ist noch nicht klar, dass beispielsweise durch Starkregenereignisse Überflutungen auch in Bereichen auftreten werden, die nicht gewässernah sind. Man unterscheidet zwei Arten von Überschwemmungen. Zum einen die großräumigen Flussüberschwemmungen, wie wir sie im Juni in Süddeutschland erleben mussten, hervorgerufen durch lang anhaltenden Regen. Dem gegenüber stehen die lokalen Starkregenereignisse, von denen wir immer mehr sehen. Sie sind in der Regel nicht besonders groß ausgeprägt, können die Kanalisation aber überfordern und lokal großen Schaden anrichten. Mit dem Klimawandel verzeichnen wir eine deutliche Zunahme dieser Starkregenereignisse, denn jedes Grad an wärmerer Atmosphäre kann etwa sieben Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Die höhere Luftfeuchtigkeit resultiert dann auch in deutlich größeren Starkregenmengen. Eine weitere Folge sind Änderungen der Energie, mit denen sich Wolken aufladen und zu schweren Hagelgewittern führen können. Für Europa müssen wir feststellen, dass schwere Hagelschläge zunehmen.

FB: Was sind die wesentlichen Parameter bei der Kalkulation von Wetterschäden?

TG: Das Risiko, das man am Ende in eine Versicherungsprämie übersetzt, besteht aus drei Faktoren. Erstens die Gefährdung, also Mutter Natur. Wie oft kommt zum Beispiel ein Sturm mit einer bestimmten Windgeschwindigkeit an einem Ort vorbei. Zweitens die Schadenanfälligkeit. Was richtet ein Sturm einer bestimmten Stärke mit meinem Haus an. Und drittens die Verteilung der Werte: Wie viele Gebäude werden von einem bestimmten Sturm getroffen. Das wird dann über einen langen Zeitraum hinweg simuliert und Schadenwahrscheinlichkeiten errechnet.

FB: Was sind denn in diesem Zusammenhang die Themen, die für institutionelle Investoren relevant sind?

TG: Eine umfassende Due Diligence, die auch Naturkatastrophenrisiken abbildet, wird immer wichtiger. Die Bedeutung für Immobilien- und Forstinvestments, sowie für viele Bereiche der Infrastrukturfinanzierung liegt gerade mit Blick auf den Klimawandel auf der Hand. Munich Re hat in den letzten Jahrzehnten umfangreiche Datenbestände aufgebaut, und wir sind weltweit exzellent mit
relevanten wissenschaftlichen Einrichtungen vernetzt. Unsere technische Kompetenz versetzt uns in die Lage, Technologien und Standorte zu beurteilen sowie versicherungstechnisch zu bepreisen. Dieses Wissen teilen wir gerne als Partner bei einer Due Diligence.

FB: Die MEAG nutzt diese Expertise, als einer der wenigen Asset Manager, für die Investments ihrer Kunden.

TG: Über diese Zusammenarbeit freuen wir uns sehr! Unsere Ambition geht aber tatsächlich über das rein Ökonomische hinaus. Denn uns treibt auch die Frage um, was wir der Gesellschaft bieten und wie wir die Wirtschaft beim Umbau zu einer klimaneutralen Welt unterstützen können. Wir tun dies mit Daten, Expertise, Kapitalkraft und Versicherungsprodukten. Darüber hinaus spiegeln sich unsere Überlegungen natürlich in den Kapitalanlagen des Konzerns wieder. Man darf in diesem Bemühen nicht nachlassen, auch wenn 2023 das Jahr mit den höchsten CO2-Emissionen in der Geschichte war.

Unser Börsen-Podcast Kapitalmarkt kompakt mit unseren erfahrenen Kapitalmarktexperten Dr. Jürgen Callies und Alexander Hauser:
 

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Archiv

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Ausgabe 15Durch den Klimawandel entstehen neue Risiken, die bei Investitionsentscheidungen zunehmend berücksichtigt werden sollten.

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Ausgabe 4Es bleibt ungemütlich. Die Verwerfungen an den Energiemärkten halten uns in Atem. Und kommen mitten in der Gesellschaft an.

Ausgabe 3Davongaloppierende Inflation, steigende Lohnforderungen, Fragmentierungstendenzen in Europa: Die Not der Notenbanken.

Ausgabe 2Steigende Zinsen und geopolitische Verwerfungen: Die Kapitalmärkte fest im Griff.

Ausgabe 1Herzlich willkommen bei unserem neuen Format ViEW – dem Newsletter für institutionelle Investoren.



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